Oktober 02, 2006

¿Donde está Lopez?

Seit dem 18. September gilt der Platenser Jorge Julio Lopez offiziell als vermisst. Von der Sache her, waere das keine große Sache. Wenn man aber weiss, was es in Suedamerika bedeutet, verschwunden zu sein, ist das doch schon eine Sache die Aufmerksamkeit verdient.
Am Abend des 18. September wurde in La Plata eine Gerichtsverhandlung abgehalten. Vor Gericht stand der ehemalige Polizist Miguel Etchecolatz. Er wurde beschuldigt am Verschwinden von mindestens 6 Personen hauptsaechlich beteiligt gewesen zu sein. Kronzeuge des Prozesses war eben dieser Jorge Julio Lopez. Lopez selbst, war waehrend der Militaerdiktatur schon einmal ein so genannter „Desaparecido“, ein Verschwundener, gewesen und erkannte den Angeklagten wieder. Aufgrund seiner Aussage konnte dieser daraufhin zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt werden.
Wahrscheinlich noch in der gleichen Nacht, wurde er daraufhin, „verhaftet“ und verschleppt. Seit diesem Tag fragt ganz Argentinien: Wo ist Lopez?

Der Prozess war der Auftakt einer Reihe von weiteren Verfahren gegen das Argentinische Militärregime, das in der Zeit von 1976 bis 1983 das Land „regierte“. Seit dem Bekannt werden des Verschwindens von Lopez sind in Argentinien jeden Tag mehrere Tausend Menschen auf den Strassen, um fuer die schnelle Aufklaerung dieses Falles zu demonstrieren. Nicht wenige befürchten, dass Lopez nicht mehr am Leben ist und somit als Abschreckung fuer die anderen Zeugen gelten soll.
Am 18. September habe ich auf dem Plaza Moreno Fussball gespielt. In der Municipalidad wurde zur gleichen Zeit der Prozess abgehalten. Einige Hunderte Menschen hatten sich vor dem weissen Haus am Plaza Moreno versammelt, um fuer eine möglichst harte Strafe zu demonstrieren. Ich habe am Abend in meiner Pension nachgefragt, ob sie wuessten, was dort passiert waere und warum dort so viele Leute gewesen waren.
Da hab ich zum ersten Mal von den neuen Gesetzen Kirchners gehoert. Nach ueber 20 Jahren wurden nun erstmals Immunitaeten ausser Kraft gesetzt, mit deren Hilfe nun die Verantwortlichen fuer die mindestens 13.000 bekannten Verschwundenen zur Verantwortung gezogen werden koennten.
Am Donnerstag dem 28.09 bin ich nichts ahnend aus der Universitaet gekommen und wollte meinen Heimweg antreten, als auf einmal vor mir an der Ampel sechs vermummte Demonstranten standen, die sich um ein paar brennende Reifen gestellt hatten und Baseballschlaeger in den Haenden hielten. Sie haben sich nicht im Geringsten fuer mich interessiert, dennoch war das erst einmal ein kleiner Schock fuer mich. Ich bin dann die 7.Strasse entlanggegangen, die zwischen vier Blocks (51.-46.) von den Platensern eingenommen worden war. Dort brannten ueberall Reifen, waren riesige Plakate aufgehaengt, und die Leute sassen auf der Strasse herum. Die 7. Strasse ist nur vier Blocks von dem Polizei-Hauptrevier entfernt. Dennoch hatte sie keine Anstalten gemacht, um in dieser Situation etwas zu unternehmen.
Das wiederum, war dann das erste Mal, dass ich bewusst wahrgenommen hatte, was hier gerade passiert.

Zeitgleich demonstrierten mehrere Tausend Leute allein in Buenos Aires. Allesamt forderten das Leben von Lopez. Ueberall in der Stadt haengen Flugblaetter aus, die das Gesicht von Lopez zeigen und die bei der Aufklaerung des Falles helfen sollen.
Waehrend der Militaerdiktatur in Argentinien sind offiziell ueber 13.000 Menschen verschwunden, es wird aber davon ausgegangen, dass es sich dabei eher 30.000 handelt. Das Prozedere verlief dabei aber fast immer gleich. Nachts wurden, die so genannten, „subversiven Personen“ verhaftet, in Verliessen gefoltert und spaeter auch umgebracht. Auch gab es Todesfluege, bei welchen lebendige Menschen von einem Flugzeug aus in den Atlantik abgeworfen wurden. Die Angehoerigen erfuhren meist nichts ueber das Verbleiben der Disaparecidos. Ihnen wurde vielmehr erzaehlt, dass sich die Ehemaenner oder -frauen wohl heimlich von ihren Partnern getrennt, oder dass sich die Jugendlichen ins Ausland abgesetzt haetten. Somit entstand ein Mantel des Schweigens und des Wegschauens. Teilweise wurde der Kontakt zu den Familien abgebrochen in denen jemand verschwunden war, aus Angst auch als Subversiv eingestuft zu werden. Auch gab es mehrere Leichenfunde, die bis heute keine Identitaet haben, da viele Leute sich nicht trauten zu zugeben, dass es sich bei den Leichen um Familienangehoerige handelte.
Der Gouverneur von Buenos Aires sagte im Jahre 1977 in einer oeffentlichen Rede: „Erst werden wir alle Subversiven toeten, dann ihre Kollaborateure, danach ihre Sympathisanten, danach die Gleichgueltigen und schliesslich auch die Aengstlichen.“
Diese Rede wurde im Rahmen einer Gesetzeserneuerung zur Aufrechterhaltung der Nationalen Sicherheit, nach der Machtuebernahme der Militaerjunta gehalten. Das Phaenomen der Verschwundenen gab es jedoch nicht nur in Argentinien. Die „Operation Condor“ wurde von mindestens 5 Suedamerikanischen Geheimdiensten grenzuebergreifend geplant und durchgefuehrt (man spricht dabei von Argentinien, Brasilien, Chile, Guatemala und Paraguay). Auch dem CIA und dem franzoesischen Geheimdienst konnte man dabei eine „Beraterfunktion“ nachweisen.

Weltweit sorgten die „Madres de la Plaza de Mayo“ fuer aufsehen. Die Muetter, Frauen und Grossmuetter von Verschwundenen versammelten sich einmal in der Woche auf dem Plaza de Mayo, um dort schweigend zu demonstrieren. Dabei trugen sie allesamt weisse Kopftuecher und hielten Schilder mit den Namen oder den Fotos der vermissten Angehoerigen. Als schliesslich auch aus dieser Organisation die ersten Leute verschwanden, sah man ein, dass die Junta nicht einmal vor den eigenen Muettern der Nation halt machen wuerde. Bis heute gibt es jedoch diese Bewegung, die sich nach wie vor jeden Donnerstag in Buenos Aires trifft, und dort schweigend versucht die Aufklaerung diverser ungeklaerter Faelle zu provozieren.
Es gibt auch ein Lied von Manu Chao zu dem Thema. Es heisst natuerlich auch: "Desaparecido"

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