Oktober 23, 2006

El Clásico

Endlich habe ich es geschafft. Endlich war ich zum ersten Mal bei einem argentinischen Fussballspiel. Es hatte ja nun auch lange genug gedauert.

Leider ist es aus zwei Gruenden nicht ganz so einfach hier zum Fussball zu gehen. Zum einen faengt das schon einmal beim Kartenkaufen an. Die Eintrittskarten gibt es hier nur an den Stadien zu kaufen. Wenn dann auch noch ein grosses Derby (Clásico) ansteht, muss man mit ewig-langen Wartezeiten rechnen. Im Falle des Superclásicos zwischen Boca und River kann man froh sein, wenn man nach 14 oder mehr Stunden Wartezeit auch wirklich die Tickets in den Haenden haelt. Dort sind naemlich noch zusaetzlich Massenschlaegereien und Taschendiebstaehle einzuplanen.
Der zweite Grund ist, dass es einfach auch sehr gefaehrlich sein kann allein zum Fussball zu gehen, die Hooligans heissen hier Barrabravas und haben eine unglaubliche Macht. In den bisher absolvierten 8 Spieltagen sind schon 4 Partien abgebrochen oder abgesagt worden. Die Partie zwischen Boca und Gimnasia de La Plata ist zum Beispiel beim Stand von 1:0 abgebrochen worden, weil der Praesident von La Plata die Schiedsrichter so massiv bedroht hatte, dass diese daraufhin ihre Sicherheit nicht mehr als gewaehrleistet ansahen. Auch an diesem Wochenende wurde ein Clásico zwischen Boca und Racing abgesagt, weil die „Doce“ (die Zwölf- welch passender Name fuer den gewaltaetigen Anhang der jeweiligen Mannschaften) von Boca sich in Avellaneda angekuendigt hatten und die Polizei sich ausser Stande sah, Herr der Situation zu werden.
Mein Kommilitone Puci, (sprich Pussy, ist aber bloss eine harmlose Abkuerzung seines Nachnamens „Puccitelli“) der ein bekennder Anhaenger der Estudiantes de La Plata ist, (Ein sogenannter Pincha. Der Klub wurde von Medizinstudenten im Jahre 1905 gegruendet. Da diese auch Experimente mit Maeusen gemacht haben, hiessen sie seit je her „Pincharratas“ oder nur „Pinchas“, was so viel wie Pieker heisst.) hatte mich gefragt, ob ich gerne mit ihm zum Clásico zwischen den beiden Platenser Mannschaften gehen moechte. Ich wollte schon immer gerne zu den Estudiantes gehen, weil dort Juan Sebástian Verón seit diesem Jahr wieder bei seinem Heimatverein spielt. Nachdem wir am Donnerstag zusammen auf der Sportanlage der Fakultaet eine Stunde lang hin- und her gerannt waren, sind wir zusammen zum alten Stadion der Pinchas gegangen um zu schauen, ob wir fuer mich eine Eintrittskarte kaufen koennen. Die Schlange der Leute war inzwischen schon so lang, dass die Leute eine halbe Runde um das Stadion herum anstanden. Also stellten wir uns auch an. Puci ist Vereinsmitglied und hatte seine Karte schon. Nachdem wir innerhalb einer halben Stunde ganze 2 Meter vorangekommen waren, haben wir das Unternehmen abgebrochen, weil wir nur noch eine Stunde Zeit hatten, um puenktlich zum Unterricht zu kommen. Somit hatte ich eigentlich nicht mehr damit gerechnet, dass ich noch zum Spiel gehen wuerde. Puci sagte aber, dass noch eine Moeglichkeit bestuende. Er wollte ein paar seiner Freunde fragen, die auch Mitglieder sind, ob sie eventuell nicht zum Spiel gehen wuerden und ich somit ihre Karte benutzen koenne. Als ich dann schon in der Vorlesung sass, kam der Puci mit reichlich Verspaetung und hielt aber dabei aber die Eintrittskarte in seiner Hand. Ich weiss nicht, wer sich in diesem Moment mehr gefreut hatte, ich, weil ich nun endlich zum Fussball durfte oder Puci, weil er allen anderen erzahlen konnte, dass der „Alemán“ nun auch ein Pincha ist.
Wir haben uns dann am Sonntag um 11 Uhr bei ihm zu Hause getroffen. Danach sind wir dann ganz ruhig zu seinen Pinchafreunden gefahren, um dort ein wenig zu essen und uns auf das Spiel einzustimmen. Zwei seiner Kumpels waren schon am fruehen Morgen auf Lobos (Woelfe) von Gimnasia getroffen. Kurzerhand wurden die unterschiedlichen Ansichten ueber den Platenser Fussball auf argentinische Art geklaert. Wie die ganze Geschichte genau ausgegangen ist, weiss ich nicht. Die beiden Pinchas waren zwar ein wenig verbeult, aber gluecklich.(Auf dem Foto steht der Puci ganz limks und seine beiden Kumpel direkt neben ihn) Wir haben dann ein paar Bier getrunken und sind zum Stadion gelaufen. Auf dem Weg sind wir auf immer mehr Pinchas gestossen und die Stimmung wurde immer besser. Atemberaubend war dann der Moment, als die beiden Mannschaften das Stadion betraten. Eine Million kleine Papierschnipsel und Luftballons in Blau- oder Rot-Weiss flogen da durch die Luft, so dass das Spielfeld erst einmal abgesaugt werden musste.
Ich brauchte dann auch nicht lange auf den ersten Torjubel warten, nach nur 5 Minuten stand es schon 1:0 fuer die Estudiantes und ich befand mich ungefaehr zehn Stufen weiter unterhalb meines eigentlichen Platzes. Gefallen bin ich aber nicht wirklich, da die Dynamik der Meute alles auffaengt- man findet halt immer einen Arm, an den man sich klammern kann. Knapp 10 Minuten spaeter hatte ich dann auch schon die naechste Moeglichkeit den Torjubel zu ueben. Die erste Halbzeit endete 3:0 und meine neuen Pinchafreunde waren allesamt gluecklich.
Die freundliche Feuerwehr sorgte innerhalb der Pause fuer eine aeusserst angenehme Abkuehlung, indem sie die Anhaenger beider Mannschaften eine Viertelstunde lang mit kaltem Wasser abspritze.
Beim Jubel des vierten, fuenften und sechsten Tores hatte ich inzwischen gelernt, meinen angestammten Platz im Rahmen des Moeglichen beizubehalten. Als dann auch noch das siebente und letzte Tor fiel, war allen klar, dass sie heute einen historischen Sieg gesehen haben. Noch niemals hatten die Estudiantes ein Derby so hoch fuer sich entscheiden koennen und überhaupt erst einmal in seiner hundertjaehrigen Geschichte hoeher gewinnen koennen. Nachdem wir alle gluecklich und erschoepft waren (denn Fussball bedeutet hier 90 Minuten singen und springen, waehrend bei uns eher geschrien und geklatscht wird) sind wir noch einmal in die Stadt gefahren, um an der Siegesfeier am Plaza San Martín teilzunehmen. Dort wurde kurzerhand die Strasse gesperrt und die ganze Nacht weitergesungen und getanzt. Puci bedankte sich bei mir (fuer ihn hatte ich auch einen gehoerigenAnteil an dem historischen Sieg gehabt) und ich habe ihn noch zum Busbahnhof begleitet, wo er dann voellig gluecklich nach Hause in sein Dorf gefahren ist. Schliesslich fand das Spiel am Muttertag statt und seine Mutter hatte lange genug auf ihren Pincha warten muessen.

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