November 26, 2006

Drei Monate

Im Vorfeld hatte ich mir drei Monate gegeben, um mich an das Leben in Argentinien anzupassen. Ich wollte innerhalb dieser Zeit eine gewisse Routine entwickeln, Leute kennengelernt haben, damit ich die Zeit geniessen kann und vor allem die Sprache soweit gelernt haben, dass ich problemlos mit allen sprechen kann.
Inzwischen sind drei Monate vorbei und die Routine ist schon lange eingekehrt. Ich treffe mich regelmaessig mit den anderen Deutschen und habe auch schon genuegend Argentinier kennengelernt mit denen ich gerne Zeit verbringe. Meine Uni habe ich eigentlich ganz gut absolviert und mein Semester fast abgeschlossen. Ich habe auch alles bestanden was ich besucht habe und bin darueber ziemlich froh. Inzwischen spreche ich auch schon gut Spanisch und habe kaum noch Probleme mit der Verstaendigung.
Das Leben hier unterscheidet sich nicht grundsaetzlich von dem in Deutschland. Es laeuft zwar alles ein wenig entspannter ab, was mich aber nicht stoert. Ich werde oft gefragt, warum ich aus der Ersten Welt und die Dritte gekommen bin und es ist nicht einfach eine Antwort darauf zu finden, die die Leute nachvollziehen koennen. Es gibt hier viele Probleme und die Argentinier haben auch eine sehr kritische Sicht auf ihr Land. Es gibt sehr viel Armut. Aber Armut bedeutet hier nicht Harz IV oder Sozialhilfe. Armut bedeutet hier, kleine Kinder die auf der Strasse schlafen und durch die Kneipen ziehen, um ein wenig Geld zu erbetteln. Es gibt sehr viele Leute, die gar nichts haben, nicht einmal was zu essen. Ich weiss, dass es das auch in Deutschland gibt, aber bei Weitem nicht in dem Ausmass wie hier. Eine weiteres Problem ist die Gewalt. Leider sind die Argentiner auesserst heissbluetig und haben einen grossen Hang zur Gewalt. So ist natuerlich das Fussballstadion fuer viele Leute ein Ventil, um ihren Aerger in Form von Randale los zu werden. Es vergeht kein Spieltag der Primera A an dem es nicht irgendwelche Auseinandersetzungen gibt. Ich weiss auch, dass es Randale in Deutschland gibt, aber wenn einmal ein Linienrichter von einem Bierbecher getroffen wird, kann man das nicht damit vergleichen, dass die Polizei teilweise auf die Fans mit Gummigeschossen losgehen muss, damit man diese sich nicht gegenseitig umbringen.Dennoch muss ich sagen, dass ich mich sehr wohl fuehle und die Entscheidung hierher zu kommen noch nicht eine Sekunde bereut habe.
(Unglaublich, ich habe noch niemals violette Baueme gesehen, momentan ist die ganze Stadt voll davon.)
"Warum Argentinien?", ich versuche das meistens so zu beantworten: "Ich habe schon immer ein Trikot von Argentinien gehabt, und natuerlich ist der Fussball der Hauptgrund. Ich weiss, dass Argentien das einzige weisse Land in Suedamerika ist. Und ich weiss, dass Argentinien nicht wirklich zur dritten Welt gehoert. Es gibt gute Unis und viel Kultur. Ich wollte es einfach kennenlernen, weil ich weiss, dass das hier nicht Lateiamerika ist, aber eben auch nicht Europa." Meistens sind sie mit der Antwort auch zufrieden, denn obwohl sie sehr kritisch sind, sind sie auch riesige Patrioten.
Einmal bin in einem Geschaeft gefragt worden, wo ich denn herkommen wuerde. Nachdem ich gesagt habe, "aus Deutschland", antwortete der alte Mann: "Weisst du eigentlich, dass wir euch fuer die intelligentesten Menschen auf der Welt halten?" Ich muss Anja recht geben, dass ich, seitdem ich hier bin, immer stolzer auf meine Heimat werde. Wenn wir in der Uni Texte lesen und ein Buch "Nietzsche, Marx und Kant" heisst, bin ich schon stolz. Leider musste ich einmal den Professor berichtigen, als er sagte, dass Freud auch ein Deutscher war. Er haette aber auf Deutsch verfasst, antwortete er. Ich habe mir verkniffen zu sagen: "Gut, dann ist Borges jetzt auch ein Spanier fuer mich."
(Das ist der Eingang zu meiner Arbeit)
Inzwischen habe ich auch einen Job gefunden. Es gibt eine Zeitung in Buenos Aires fuer die deutschsprachige Gemeinde der Stadt. "Das Argentinische Tageblatt" wurde vor ueber hundert Jahren von Schweizer Aussiedlern gegruendet und ist seitdem im Besitz der Familie Alemann. Die Familie Alemann ist sehr beruehmt in Argentinien, wie ich im Nachhinein erfahren habe. Die beiden geschaeftfuehrenden Brueder waren Minister waehrend der Militaerdiktatur gewesen. Die Schwester wiederum ist eine Direktorin eines Theaters und der Vater war ein bekannter Komponist in Argentinien gewesen. Ich bin die Sportredaktionion. Meine Aufgabe besteht darin, DPA- Meldungen zu lesen, sie zusammen zu kuerzen, oder selbst etwas ueber den Sport in Deutschland zu schreiben. Ich fahre zwei bis drei Mal in der Woche nach Buenos Aires und kann so ein wenig mehr Zeit in der Hauptstadt verbringen. Die Redaktion befindet sich genau auf der riesigen Avenida 9 de Julio.
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Und der Obelisk ist nur fuenf Blocks von ihr entfernt. Die Stadt gefaellt mir sehr gut. Sie ist riesig gross und natuerlich voller Menschen. Sie ist schnell, laut aber auch ziemlich stilvoll. Fuer mich als Berliner gibt es nicht allzu viele Alternativen zu meiner Heimatstadt, aber Buenos Aires kann definitiv mithalten.
Dass schon in einem Monat Weinachten ist kann ich mir momentan nur schwer vorstellen, bei 30 Grad im Schatten. Aber ich freue mich schon darauf, Anja in einem Monat im kalten Michigan zu besuchen. Wenn ich dann wiederkomme, habe ich noch mehr als ein halbes Jahr vor mir und ich hoffe, dass ich die Zeit genauso geniessen werde, wie ich bisher getan habe.

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