März 25, 2007

Politik auf argentinisch

Die Uni hat in La Plata wieder begonnen und mit den ganzen Studenten hat auch die Politik wieder Einzug in den Regierungssitz der Provinz Buenos Aires gehalten. Nach der Sommerpause haben die politischen Geschehnisse sogar allerhand Fahrt aufgenommen. Leider wird in Deutschland nicht allzu viel davon berichtet, deshalb werde ich einmal versuchen "kurz" wiederzugeben, was hier derzeit die Leute beschäftigt.

An diesem Wochenende fand in La Plata ein Marsch anlässlich des 31. Jahrestages des Militärputsches von 1976 statt. Dieser Feiertag wurde in dieem Jahr zum ersten Mal durchgeführt und soll den Opfern der Diktatur gedenken. Auch der immer noch nicht aufgeklärte Fall des Bauarbeiters Jorge Lopéz spielte dabei eine wichtige Rolle. Obwohl sich inzwischen jeder bewuβt ist, dass der Kronzeuge gegen den Polizisten Etchecolatz schon lange verstorben sein wird, fordern die Leute die Regierung um Präsidenten Kirchner auf, endlich für die Aufklärung des Falles zu sorgen. Lopéz ist nun schon seit 6 Monaten verschwunden.
Ein weiteres politisches Highlight fand vergangene Woche in Buenos Aires statt. Der amerikanische Präsident George W. Bush besuchte während seiner Lateinamerika-Tour seine befreundeten Amtskollegen. Argentinien stand ebensowenig auf der Besuchsliste wie Venezuela. Der venezolaner Chavéz startete daraufhin zeitgleich seine ganz persönliche Latino-Tour. Er besuchte ebenfalls seine Freunde und versuchte sich immer möglichst nahe an den Orten aufzuhalten, an denen der Amerikaner weilte. Bush besuchte also unter anderem auch den argentinischen Nachbarn Uruguay in dessen Hauptstadt Montevideo. Buenos Aires liegt am Südufer des Río de la Plata und Montevideo genau gegenüber am Nordufer. Auf Einladung Kirchners reiste Chavéz nach Argentinien, um seinem Lieblingsfeind möglichst nahe sein zu können.

In einer zweistündigen Rede verwies der selbsternannte Ché Guevara-Nachfolger auf seine ehrgeizigen politischen Ziele und sparte dabei nicht mit Selbstlob und hämischen Spott für den Amerikaner. Diesen bezeichnete er als Männchen, dessen politischer Leichnam sich ohnehin schon bald zu Staub auflösen würde.
Abschließend an seine Reise durch Lateinamerika feierte sich Chávez als eindeutiger Toursieger, weil er ja im Gegensatz zu seinem Kollegen nicht mit Massenprotesten, sondern mit Beifallstürmen empfangen worden sei (womit er allerdings auch Recht hat).

Obwohl Kirchner bei dieser Rede in einem Fußballstadion nicht anwesend war, verlor er doch seinen neutralen Status in der diplomatischen Auseinandersetzung zwischen Venezuela und den Vereinigten Staaten. Ob das gut oder schlecht für Argentinien ist, kann ich leider nicht wirklich beurteilen. Mit Chavéz einigte er sich auf jeden Fall auf eine engere Zusammenarbeit. Das wohl interessanteste Projekt ist eine geplante Pipeline von Venezuela über Brasilien nach Argentinien. Dort soll dann das Erdgas veredelt werden und die Ost-Latino-Achse unabhängiger und vor allem auch wirtschaftlich leistungsfähiger machen.
Ein ganz anderes aber nicht minder interessantes Polittheater findet ebenfalls zur Zeit in Buenos Aires statt. Es stehen nämlich Wahlen an. Der Posten des Gouverneurs von Buenos Aires wird neu vergeben und so entbrennt momentan das politische Spektakel.
Der Präsident des Fußballvereines Clúb Atletico Boca Juniors, Mauricio Macri, hat ebenfalls seine Kandidatur bekannt gegeben. Macri, nennt sich selbst rechtsliberal, ist zufällig einer der reichsten Menschen in seinem Land. Hauptberuflich ist er der Chef der Macri-Gruppe. So gehören ihm Autobahnen, Autofabriken und etliche andere mehr oder weniger große Firmen, von den allein die "Sideco" mehr als 200 Millionen Euro pro Jahr einbringt. Macri ist sehr ehrgeizig und möchte in nicht all zu ferner Zukunft auch Präsident sein. Seine Familie profitierte vor allem vom so genannten Neo-Liberalismus in Argentinien während der 90 Jahre. Der damalige Präsident Menem koppelte unter anderem den Peso an den Dollar. Somit bescherte er seinem Land einen unerwarteten Aufschwung und Reichtum. Da die Wirtschaft diese Koppelung aber nur künstlich, und zwar mit nicht gerade wenigen Schulden im Ausland aufrechterhalten konnte, platzte eine riesiege Seifenblase im Jahr 2001, als sich der Peso von ganz allein wieder auf seinen eigentlichen Wert korrigierte. Die Unterschicht verlor während dieser verheerenden Krise ihr ganzes Hab und Gut- die Mittel- und Oberschicht überstand diesen Crash relativ unbeschadet und die ganz Großen hatten schon im Vorfeld genug von dem Reichtum auf die sichere Seite gebracht und intelligent investiert. Macri besitzt zum Beispiel auch Firmen in China.
Bei der Inflation verlor der Peso fast seinen dreifachen Wert. Der Fußballverein Boca Juniors befand sich ohnehin schon in einer armen Gegend von Buenos Aires. Doch nach der Krise verreckten die Menschen förmlich auf der Straße.
Der gute Herr Macri möchte nun Gouverneur werden und startet seinen Wahlkampf stilsicher auf einer Müllkippe in Villa Lugano, einem der allerärmsten Viertel der Hauptstadt. Im Arm ein kleines Mädchen mit verrotzter Nase haltend sagt er, dass er hier sei um den Leuten zu zeigen, dass es in Buenos Aires nicht überall aussehe wie in den Nobelstraßen Callao und Alvear. Die Müllkippe ist das Zuhause des kleinen Mädchen mit dem T-Shirt I love Argentinien.
Darüberhinaus, darf man nicht vergessen, dass er ja nebenbei noch zufällig den größten Fußballverein in ganz Südamerika leitet. Ein Fußballverein wird in Argentinien zum Einen von der Geschäftsführung geleitet, zum Anderen aber auch von den Barra Bravas. Diese Hooligans organisieren den ganzen nicht wirtschaftlichen Teil des Vereines. Auswärtsfahrten, Mitgliederakquise, und alles was noch anfällt und eben auch erledigt werden muss.
(Ein kleines Filmchen über die "Arbeit" von Rafa Di Zeo. Boca spielt gegen River im Monumental, dem Stadion von River, leider nur in Spanisch.)

Die Chefs der Barras sind somit fast ebendso mächtig wie der Präsident selbst, da die Massen ihm Folgen. Und: ohne die Barras kann sich kein Präsident an der Spitze eines Vereines halten. Also gibt es immer wieder kleine Geschäfte zwischen "oben" und "unten". Der Präsident von Gimnasia de La Plata hat zum Beispiel einmal seinen Barras eine kleine Bäckerei gekauft, samt Maschinen und Immobilie. Warum weiß keiner, aber denken können sich es alle. Bei River durften sich die Barras sogar ihre WM-Tickets direkt aus der Geschäftsstelle abholen. In ganz Europa arbeitete die Polizei mit den Vereinen zusammen, um die Ausreise der Hooligans zu verhindern- hier hingegen wurde wahrscheinlich noch ein kleines Schleifchen um die Eintrittskarten gebunden. Der Chef der Barras von Boca, der "12", heisst Rafa Di Zeo und ist ein heimlicher Star, gibt Interviews und wird von Paparazzi verfolgt.

Nur leider sucht gerade Interpol nach dem guten Rafa, unter anderem wegen schwerer Körperverlezung und auch wegen eines Todesfalles eines Barras von River. Macri ließ verlauten, dass Di Zeo unter diesen Umständen kein Mitgleid mehr seines Vereines sein könne. Doch noch am gleichen Tag machte der schmale Her mit dem spitzen Schnurbart eine ganze Rolle rückwärts und sagte, dass er wohl doch "Socio" bleiben würde.
Da fragt man sich zurecht, was oder vor allem wer ihn denn innerhalb so kurzer Zeit zum Umdenken gebracht hat. Auch die politische Opposition stellt die Machenschaften des Spitzenkandidaten der Partei "PRO" stark in Frage. Ungeachtet aller Spekulationen ist Macri weiterhin Favorit auf den Posten.
Ironischerweise ist der derzeitige Bildungsminister Daniel Filmus der wohl größte Konkurrent des Wirtschaftsgiganten. Bunter kann Politik nicht sein. Macri ist clever und hat schon vorgesorgt- mit einem Geschenk. Er kaufte mal eben einen der besten Fußballer der Welt ein, damit dieser für ganze vier Monate in seinemVerein spielen kann. Mit Juan Román Riquelme kaufte er DAS Idol ein. Für die Fans von Boca ist "Romi" einer von ihnen- von ganz unten gekommen und nun ein Superstar. Ein geschickter Schachzug, wenn man bedenkt, dass ungefähr ein Drittel aller Argentinier Anhänger von Boca sind. Die Frage, ob die Mischung aus Korruption, Fußball und Effekthascherei den etwas blassen Filmus besiegen, der für Werte wie Kultur, Bildung und Moral steht. Wie schon gesagt besser kann ein Wahlkampf eigentlich nicht sein, Spannung ist garantiert.

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